Peloponnes III
Peloponnes III - Korinth, Eleusis & Abreise
Die Nacht ist wie gewohnt kurz, und der Wecker klingelt etwas zu früh. Doch das rasche Aufstehen belohnt mich mit einem Sonnenaufgang wie aus dem Bilderbuch. Nach weniger als zehn Minuten ist das Lichtschauspiel aus Gelb und Rot schon wieder vorbei, und die Sonne verschwindet hinter den Wolken. Das Frühstück ist reichhaltig und die Gastgeber herzlich. Nach einem schnellen Einkauf im kleinen Laden der Stadt komme ich an der Kirche des Apostels Paulus vorbei, in der gerade ein orthodoxer Gottesdienst stattfindet. Der Gesang der Priester, welcher über die Lautsprecher die Umgebung des Gotteshauses beschallt, erinnert mich an den Muezzin-Ruf, nur nicht ganz so blechern. Ich werfe einen neugierigen Blick durch die offene Tür hinein und knipse ein Foto, traue mich aber nicht einzutreten. Ganz und gar nicht vertraut mit den Gepflogenheiten eines orthodoxen Gottesdienstes, möchte ich niemanden stören und nichts anbrennen lassen.
Der Bus bringt uns hoch auf den Berg. Akrokorinth ist selbst beim Nieselregen schön anzusehen und bietet eine gute Aussicht. Nächster Stopp ist die archäologische Site. Auf dem Gelände der Ausgrabung wimmelt es nur so von großen Touristengruppen. Der anhaltende Regen drückt etwas auf die Stimmung, und auch im engen Museum ist kaum ein Durchkommen. Die Sammlung ist trotz aller äußerer Störfaktoren überaus spannend. Funde aus dem Asklepios-Heiligtum, Statuen der iulisch-claudischen Linie und das absolute Highlight: Zwillings-Kuroi. Diese außergewöhnlich gut erhaltenen Grabstatuen aus archaischer Zeit, also 2.500 Jahre alt, stehen in typischer Pose und mit leichtem Lächeln vor den Gräbern von zwei Zwillingen. Das Personal ist darauf bedacht, keine Fotos zu ermöglichen und die Besucher zügig durch diesen Bereich zu befördern. Besonders wichtig scheint die Einhaltung der „Verkehrsregeln“ zu sein. Wer einmal ein Stück zu weit gelaufen ist, der darf nur unter größtem Protest nochmal etwas zurückgehen, um ein Exponat erneut zu inspizieren.
Die eigentliche Stätte ist definitiv ein „Must-See“. Der große Apollon-Tempel und die Überreste des Peirene-Brunnengebäudes sind wahnsinnig interessant und schön zugleich. Doch auch die beiden Stoa-Anlagen, welche das Forum umgeben, auf dem sich die rostra befindet, sind bemerkenswert. Die rostra ist ein großes Rednerpult, von dem der Überlieferung nach schon der Apostel Paulus predigte. Überall auf dem Gelände sind kleine Gruppen zu beobachten, die Messen abhalten. Korinth ist also nicht nur für den angehenden Historiker und Altertums-Enthusiasten, sondern auch als Pilgerstätte von Interesse. Die skurrilste Szene stellt sich in etwa auf der Fläche des römischen Marktes dar. Zwei asiatische Touristen stehen etwa zwei Meter von vier Gläubigen entfernt, die unter Regie eines Priesters eine Messe abhalten. Mindestens eine geschlagene Dreiviertelstunde lang filmen die beiden Zuschauer das Geschehen mit ihren Handys ab. Ob die Gläubigen sich wohl ähnlich fühlen wie die Insassen des Gefängnisses von Nafplio bei Tiryns?
Nach wie vor regnet es, inzwischen auch etwas stärker. In guter Gesellschaft wird die Eisdiele nochmal aufgesucht. Heute gibt es keine Blutorange, aber dafür Limoncello als Eissorte. Als Liebhaber des gelben Zitronenlikörs zögere ich nicht lange und bestelle mir eine Portion. Fast noch besser als die am Vortag. Mit durch vom Eis gehobener Moral marschieren wir zurück zum Bus. Nach kurzem Blick auf das antike Odeion lässt sich ein jeder auf seinem Sitz nieder, und wir steuern den Isthmus-Kanal an. Ein Projekt, das schon Kaiser Nero im Jahr 67 n. Chr. in Angriff nahm. Mangels Zeit und technischer Möglichkeiten wurde es aber nie gänzlich finalisiert. Zu sehen gibt es am westlichsten Punkt des Kanals aber Überreste des sogenannten Diolkos. Der Diolkos ist eine antike gepflasterte Bahn, über die Schiffe und ganze Flotten gezogen wurden. Mittels eines Systems aus Rillen und Rädern konnten so die etwa 7–8 Kilometer breite Meerenge überwunden werden, wo sich heute der Kanal befindet. Eine beeindruckende Konstruktion, wenn man darüber nachdenkt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich hier eine absenkbare Brücke überquert. Die westlichste Brücke über den Kanal verschwindet auf dem Grund des selbigen, wenn ein Schiff passieren will. Da der Boden der Brücke aus Holzplanken besteht, sieht man den Brettern den leichten Algenbefall vom ständigen Tunken bereits an. Noch dazu hatte es den ganzen Tag geregnet, und der Boden der Brücke ist entsprechend rutschig. Ohne größere Unfälle überqueren wir den Kanal erneut zu Fuß und fahren weiter nach Loutraki.
Das letzte Hotel ist wohl in der dubiosesten Gegend lokalisiert. Die Rezeptionistin fordert eine handschriftliche Liste aller Reisenden mit Passnummer ein und zeigt sich nicht verhandlungsbereit. Der Check-in dauert also etwas länger als gewöhnlich. Auf der anderen Straßenseite stehen zwei Gebäude leer, und auf der Rückseite, wo sich der Balkon des Zimmers befindet, ist ein etwas heruntergekommener Hinterhof zu betrachten. Ein winziger Flecken Meer ist zwischen den Fassaden zu erkennen. Trotz Regen findet sich eine vierköpfige badewillige Truppe zusammen, und die fünf Minuten Fußweg werden zurückgelegt. Wieder mal ein steiniger Strand, der Ein- und Ausstieg zu einer akrobatischen Übung werden lässt. Doch das Wasser ist wieder mal klar und erstaunlich warm. Die Kulisse lässt mich staunen: Blick auf Berge, zwischen denen die Wolken hängen, und ein Kloster, das einem Schloss gleicht und auf einem der Gipfel thront.
Der Badeausflug ist beendet, und es gibt eine warme Dusche in einer Kabine, deren moderate Größe es schwierig macht, sich zu drehen. Der letzte Abend wird in einem griechischen Restaurant begangen. Ich trauere zwar etwas meinem Favoriten, einem anderen potenziellen Restaurant, hinterher, jedoch tröstet mich die gute und ausgelassene Stimmung darüber hinweg. Der Abend klingt in einer Spelunke mit lounge-artigen Sitzgelegenheiten aus. Statt eines Gin Tonic nehme ich mich eines Tees mit Rum an. Der Wirt ist augenscheinlich etwas von meiner Wahl irritiert und muss sich auf der Karte vergewissern, dass er das überhaupt im Angebot hat. Doch das ist genau das Richtige für die einsetzende Erkältung, die mir seit gestern mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden zu schaffen macht.
Ein letztes Mal wird der Koffer wieder zusammengepackt, das Frühstück kann bei weitem nicht mit dem der vorherigen Tage mithalten, füllt aber trotzdem den Bauch. Gestärkt geht es zum letzten Programmpunkt: Eleusis. Bekannt für die Mysterien, Geheimnisse und Kulte. Kurz nach Betreten des Ausgrabungsgeländes bekommen wir eine Aufpasserin an die Seite gestellt. Immer mal wieder ertönt ein mahnender Ruf, wenn sich jemand einem besonderen Stein gefährlich nähert. Zwischenzeitlich scheinen wir ihre Moral gebrochen zu haben, doch die übereifrige Dame kehrt, bewaffnet mit einem neuen Regenschirm, zurück und beäugt uns aus sicherer Entfernung. Inzwischen witzeln wir, dass zu lautes Sprechen oder ein falscher Blick auch schädlich für die Steine sei. Die Site und historischen Hintergründe sind überaus spannend, und das kleine Museum hat einige interessante Exponate zu bieten.
Ein weiteres Mal wird es skurril: Die einzigen anderen Besucher der verregneten Site stellen eine Gruppe älterer Herrschaften dar. Soweit erstmal nicht weiter ungewöhnlich, beginnen sie aber mit Übungen und Bewegungen, die wie eine Yoga-Stunde wirken. Im Kreis aufgestellt, werden Atemübungen und synchrone Armbewegungen ausgeführt. Gleichermaßen irritiert wie neugierig gehe ich nach dem Ende des Schauspiels zur Gruppe rüber und erkundige mich bei einer Amerikanerin, was sie dort machen würden. Schnell klinkt sich eine Deutsche ins Gespräch ein, und wir fahren auf Deutsch statt Englisch fort. Es handelt sich um eine Gruppe von Waldorf-Schullehrern. Etwas verworren klären sie mich über die Lehren von Rudolf Steiner und eine angebliche Verbindung zu antiken Religionen auf. Was es aber genau mit den kollektiven körperlichen Übungen an einem Ort, wo früher Hades, der Gott der Unterwelt und des Todes, verehrt wurde, auf sich hat, bleibt ein Mysterium.
Etwas amüsiert kehren wir zum Bus zurück und fahren Richtung Flughafen. Etwas in Eile, da das Boarding in wenig über einer Stunde startet, sehen wir zu, dass wir das Gepäck loswerden und durch die Sicherheitskontrolle kommen. Das Sicherheitspersonal am Athener Flughafen zeigt sich bei analogen Filmen fürs Fotografieren nicht verhandlungsbereit, und so muss ich die Filme zähneknirschend durch die Röntgenstrahlen fahren lassen. Wie schädlich das für die Filme tatsächlich ist, ist zwar umstritten, ich wollte aber nichts riskieren. Besonders dem ersten Diafilm meiner analogen Karriere wollte ich die Bestrahlung ersparen. Naja, es wird schon nicht katastrophal werden.
Der Flug hat ca. eine halbe Stunde Verspätung, und die Wartezeit überbrücke ich mittels eines Gesprächs mit einem kanadischen Ehepaar. Über das Lernen von Sprachen, Europa und Washington State/British Columbia schwadronieren wir, bis es ans Boarding geht. Die knapp drei Stunden Flug beinhalten wieder einen warmen Snack, auf den ich aber dankend verzichte. Endlich wieder Festland statt Meer als Ausblick und ein Blick aus der Ferne auf Venedig, bevor es über die Alpen geht. Die schneebedeckten Gipfel stechen aus den Wolken hervor, und ich bestaune die Aussicht aus dem Fenster. Der Sinkflug beginnt und hält ein schönes Schauspiel von Sonne und Wolken bereit. Die Erkältung hat inzwischen vollends zugeschlagen, und so macht sich der beim Sinken steigende Druck nicht nur auf den Ohren, sondern auch in den Nebenhöhlen bemerkbar. Wieder auf dem Staatsgebiet der BRD und auf dem Weg zur Gepäckausgabe höre ich kaum etwas – dem Druck auf den Ohren geschuldet. Es hat etwas seltsam Beruhigendes, durch einen geschäftigen Flughafen zu laufen und so gut wie nichts zu hören. Wie körpereigenes Noise-Cancelling. Gleichzeitig ist es nervig. Wird schon wieder vergehen, denke ich mir, und verlasse mit dem Koffer den Frankfurter Flughafen.